Sonntag, 15. Januar 2012

Montagsjazz: Die Jungs von Frankfurt

Der Bassist ist ein Strichmännchen. Lang und dünn und gebogen. Auf dem Pfeifenreinigerhals sitzt eine kreisrunde Kopfscheibe. An den weichen Handgelenken baumeln große runde Hände. Die hängen schlaff herunter in seinen Pausen beim Solo, wenn er nicht mehr weiter weiß. Denn sein Solo ist nichts als ein tropfender Wasserhahn. Scheiß drauf, er begleitet nicht schlecht. Er kann an- und abschwellen und mit Akkorden den Raum vergrößern. Aber dieser gelangweilte Blick. Dies Kaff ist nichts für die drei. Die sind zu cool. Die zeigen uns wie cool man ist, in der großen Stadt. Da sind sie her. Und spielen mit einem der Unseren. Unser Joe muss mit seinem Sax gegen sie anspielen.
Die sind „von Frankfurt“, wie uns der Drummer erklärt. Und spielen heute hier mit Joe. „Von Mainz.“ Von mir aus. Erst war es ja sauber und glatt und ohne Funken. Joe hat mitgespielt, kein Ding. Der Gitarrist war der Chef im Ring.  Hat alles ganz cool zusammengehalten und dann mit hühnerartigen Kopfbewegungen seine Soli abgeliefert. Schnelle Läufe, plastische Akkorde, alles schön und gut, aber nichts als ein Flickwerk. Schöne Sekunden, aber man meint, er habe die einzeln zu Hause geübt, in ein Archiv abgelegt und nun setzt er seine favorisierten Fingerübungen zu einem Puzzle zusammen.
Joe dann immer wieder das gute alte Reinrausspiel. Solo, Strophe. Er kann das gut mittlerweile. Er kann auch ohne Gefühl jetzt spielen. Aber ich warte auf sein wahres Ich. Die Basssoli gehen zum Glück schnell vorbei. Der Strichmann spielt ein paar Noten und lässt dann erst mal seine Fliegenklatschen hängen, um dumm aus der Wäsche zu gucken. Dann die nächsten paar Noten und so weiter.
Der Beat geht wie ein Uhrwerk und die Breaks kommen anstandslos. Der hat uns ja erklärt, wer sie sind. Ein Intelligenzbolzen mit Gefühl, einer der in der Küche sitzt und Wissen Preis gibt und Frauen gegenüber viel Verständnis zeigt.
Warum all die Gehässigkeit? Wegen des letzten Stücks. Mein Joe hat sich tapfer geschlagen. Ganz Jam jetzt, der Drummer rührt auf seinen Toms, die perfekt gestimmt sind, wahrscheinlich auf B-A-C-H und dann kommen Gitarrensphären und dieses letzte Stück vor der Session lässt sich gut an. Und mit Hühnernicken und Kniebeugen spielt der Saitenhalbgott nochmal seine schönsten Sonatetten und holt alles heraus und der Saal tobt sogar, weil er Loops spielt und lauter wird und die Leute um seine schnellen Finger wickelt. Ja, mir gefällt´s auch, weil er mit seinem Effektgerät einen Hall erzeugt, der die Gitarre mächtig klingen lässt und das sonst übliche Understatement dieser Saitenfrickeleien übertönt. Applaus und er zeigt ein Draculagrinsen. 
Und dann Joe. Jetzt ist sturmfrei. Climax und Laune. Die Regeln sind durch die Elektronik passé und jeder kann sein Ding zeigen. Bühne frei und wir wissen, dass Joe mehr kann als Bebop. 
Aber die Schweine spielen gegen ihn. Er macht immer wieder Anfänge und schlägt sich durch. Er spielt notgedrungen sein Profiprogramm, obwohl man ihm ansieht, da brennt es in ihm, etwas loszulassen, nach all den Yeahs und Jauchzern von eben. Doch die lassen ihn nicht richtig rein. Die grooven nicht, die drei. Joe ist wie ein Boot im Ozean. Er hält seinen Kurs und die Wellen schlagen gegen ihn. Er taucht unter, aber er lässt sich nicht seine Richtung nehmen. Immer wieder runzelt er die Stirn, immer wieder holt er schwer Luft. Er sieht aus als hätte er Kopfschmerzen, aber gibt nicht auf. 
Jetzt ist er oben auf, jetzt hat er Fahrwasser. Kurz. Dann rammt wieder sein Bug gegen die Wellen und versetzt ihm Schläge. Mit feinen Läufen behauptet er sich. Das herzlose Spiel der Gegner bändigt er mit klassischen Licks und langem Atem. Dabei will er doch singen, nicht atmen. Den Windhund laufen lassen und nicht eine Huskienummer abziehen. Hechel, hechel, Schlitten im Schnee. Die dreischwänzige Frankfurter Hundepeitsche schnalzt.
Und schon haben sie eine neue Waffe und werden schneller. Die HighHat swingt immer zügiger und die beiden Kumpanen steigen bereitwillig darauf ein. Genervt aber souverän meistert Joe auch diesen Stolperstein und die Geschwindigkeit gibt ihm sogar Kraft. Für einige Takte kann er einfach spielen, doch das lassen die Angeber nicht lange zu. Breakdown. Schön langsam, jetzt, nicht wahr, wer wird denn den Groove laufen lassen? Vielleicht sogar ein Zeichen, dass er aufhören soll. Mit einer mächtigen Bluenote packt Joe sich die drei noch einmal und kauft sich den Break und steckt sie in die Tasche und dann hat er keine Lust mehr und guckt sie an und ohne zu zögern fallen sie zurück in die Strophe. 
Ich applaudiere und der Rest folgt mir.
Schnell noch das Tröpfeln des Basses, das keinen interessiert und dann liefert der Drummer sein Solo ab, kaltschnäuzig und fehlerfrei, er hat jetzt alle Zeit der Welt und beste Bedingungen. Dann ist es vorbei und sie verlassen die Bühne. 
Das waren sie also, die Jungs von Frankfurt. Super. Und mit Seele gespielt hat wieder mal nur einer.

Samstag, 7. Januar 2012

Blinde Wut

Blinde Wut
Unangenehm, mit verbundenen Augen zu kämpfen? Ja, man schwitzt etwas unter dem Stoff, könnte schöner sein. So, wo ist er denn, der Bastard? Ich hör ihn schnaufen, auf 11Uhr. Macht der sich Mut damit? Ist der so in Panik, dass er so schnaufen muss? Der Boden ist krümelig, Kiesel und Sand und Staub. Den hört man gut. Ich rolle die Füße stark ab, um  Geräusche zu vermeiden. Wenn auch er wahrscheinlich gar nicht richtig hinhört. Hat er nie gelernt. Der Griff meines Messers ist aus Bakelit und fein geriffelt. Die Klinge ist kopflastig. Vorsichtig habe ich sie vor dem Kampf betastet. Sie ist scharf und spitz und wird gute Dienste leisten. Jetzt schreit er. Er macht sich Mut, der Arme. Ich schweige. Ich gehe leise nach rechts, um ihn herum. Er riecht nach Wäsche, die man feucht in den Schrank gelegt hat, und nach Tabak und Schweiß. So riecht er immer. Jetzt ist noch Angst dabei. Ist aber auch blöd, so mit verbundenen Augen zu kämpfen. Der Arme. Hätte er bloß nicht gewettet. Nicht mit einem Blinden. 
Ich ducke mich und hebe etwas Kies mit der linken Hand auf. Ich strecke den Arm weit nach links und werfe den Kies auf Bill. Dann mache ich schnell noch einen leisen Schritt nach rechts. Er brüllt und geht auf die Stelle los, an der er mich vermutet. Ach, ist er gefallen? Nicht mal geradeaus gehen kann der, ohne Sicht. Ich komme näher. Ich höre, dass er aufsteht und dass er mit dem Rücken zu mir steht. Das merke ich, weil seine Stimme jetzt anders klingt. 
„Komm her du, ich mach dich fertig!“, ruft er. Ich lache lautlos. Vor der ganzen Besatzung musste er wetten. Nur weil ich klüger bin als er, das hat er nicht ausgehalten. Da hat er seine körperliche Stärke rauskehren wollen. Da hat er gesagt, mich kann er fertig machen wenn er will. Klar, ich bin ja blind, habe ich da gesagt. Dich, hat er gebrüllt, dich kann ich noch mit verbundenen Augen kaputt machen. Klar, aber höchstens, wenn ich gefesselt bin, habe ich gesagt. Und schon kam es zu der Wette. Aufs erste Blut. Mit Messern. Beide kriegen die Augen verbunden. Ich habe auf beide bestanden, auch wenn ich sowieso nichts sehe. Sollte keiner hinterher sagen, es war nicht fair. 
Jetzt umkreisen wir uns. Ich umkreise ihn, er taumelt umher. Sein Schritt ist schwer. Sein Atem pumpt. Wenn er mich zu packen kriegt, lässt er mich nicht mehr los. Dann wird es gefährlich. Ich bleibe auf Abstand.
Schon immer haben wir uns gehasst. Weil ich klüger bin, kann er mich nicht ausstehen. Weil ich als Funker unschlagbar bin, selbst wenn ich blind bin. Er ist ja nur Maschinist. Ich sitze an der Quelle, jede wichtige Information geht über mich. Das kann er nicht ertragen. Und ich, ich hasse ihn. Weil er es mit meiner Schwester treibt. Und weil ich höre, wie er vor den anderen über sie redet. Mies redet, wie über ein Flittchen. Er denkt, ich bin auch taub, er vergisst, dass ich das mitkriege. Oder es ist ihm egal. Als Blinder zähle ich für ihn nicht. Über meine Schwester kann man reden, auch wenn ich dabei bin. Als wäre ich ein Tier, das nichts versteht. Ein Kind, das nichts machen kann. Wie ich ihn hasse. 
Mit lauten Schritten umrunde ich ihn jetzt, um ihn nervös zu machen. „Ey, mach bloß nicht das Tuch ab“, höre ich Mac rufen, „sonst wird es ein unfairer Kampf. Ich lass nicht zu, dass du nen Blinden angreifst, ohne die Binde!“ Also ist er richtig nervös geworden, wollte das Tuch runter nehmen. Ich immer schön um ihn rum jetzt. Und plötzlich bleibe ich stehen. Hui, ich spüre ihn ganz dicht, er schlägt nach mir. Hastig springe ich zurück. Da habe ich mich verschätzt, das war knapp.  
Das Messer ist kopflastig und baumelt lässig an meiner Hand. Meine Brust ist aus Wut. Der Boden knirscht. Wind weht ganz schwach. Die andern sind leise, schauen zu. Sie wissen, dass wir auf unsere Ohren vertrauen müssen. Bill prustet. Ich schleiche mich an. Vorsichtig strecke ich meine linke Hand aus. Ich höre, dass er stehen geblieben ist. Ich höre seinen Atem. Er weiß nicht, wie nah ich bin. Jetzt spüre ich die heiße Luft aus seiner Lunge auf meiner linken Hand. Ich rieche sein Haar. Da ist also sein Kopf. Dann müsste da seine Schulter sein. Dann müsste da sein Hals sein. Kehlkopf, kleine Mulde, Muskelstrang, Halsschlagader. Ich lasse die linke Hand fallen und greife nach ihm. Ja, das ist seine Schulter und hier ist sein Schlüsselbein. Die Rechte beschreibt einen Bogen von oben. Die Spitze des Messers fällt. Kehlkopf, Mulde, Halsschlagader. Ein schneller Schnitt, zwei Zentimeter tief, drei lang. Schon baumelt das Messer wieder lässig an der Seite. Schon sackt er zusammen. Ich trete zurück, ja wo ist er denn? Tastend und stolpernd spiele ich den Dummen. Ich wollte ihn nur verletzen, es war doch nur eine Wette. Ich bin blind, ich wusste doch nicht, wo ich ihn treffe. Nur ein Schnitt, ganz oberflächlich, nur eine Wette. Ich bin doch blind.